Normalerweise fährt Dona Librada morgens mit dem Quatrimoto auf die
Strandpatroullie und bringt die Meeresschildkröteneier ins Zentrum. Doch leider
sind in den letzten Tagen gleich beide Fahrzeuge kaputt gegangen, und so war es
an uns zu Fuss den Strand abzugehen. Die Sonne war noch nicht zu sehen, nur
ihre Strahlen drückten bereits durch, was die Wolken rosa färbte und
uns ein wunderschönes Aufwach-Panorama bot. Schliesslich war es 6 Uhr 30 und
wir waren kaum aus dem Bett. Nun galt es die Nester aufzuspüren um möglichst
viele Eier ins Zentrum zu bringen. In der Hochsaison, von Juni bis August,
werden nur ca. 10 Prozent der Nester eingesammelt, nämlich diejenigen, die am gefährdetsten
sind. Zum Beispiel weil sie zu nahe am Wasser liegt und durch die steigende
Brandung weggespült werden könnte. Da wir aber in der temporada baja, also am
Ende der Saison sind, werden praktisch alle Eier ins Zentrum gebracht um die
höchst mögliche Zahl an Brut zu schützen. Von den Nestern die in der Natur belassen werden, werden nur aus 60 Prozent der Eier Babyschildkröten, die es bis ins Meer schaffen. Wir hingegen, mit den Eiern aus dem Zentrum, haben eine 90 prozentige
Erfolgsrate.
Wir suchen also die Schildkrötenspuren im Sand, die irgendwie
Lastwagenreifen gleichen, und meistens in U-Form vorzufinden sind. Hinweg und
Rückweg, eine Spur aus dem Meer und eine wieder zurück. So gehen wir am Strand
entlang, kreuzen Spur für Spur und ich denke mir schon, wieso wir jetzt nicht
die Eier suchen. Da meint Lucio nur, diese Spuren seien von vor zweit Tagen. Aha, man
muss also auch die frischen Spuren erkenne können, da es ja jede Nacht neue
gibt. Nach einigen alten Spuren finden wir dann auch die Frischen von letzter
Nacht. Ein Nest graben wir aus, eine weitere Spur war nur ein Fehlalarm, ein
Tier, das zwar aus dem Wasser kam aber ohne ein Nest zu bauen wieder verschwand,
da es wohl nicht der richtige Platz gewesen war. Und dann entdecken wir noch
eine Spur. Aber halt, wo ist denn hier der Rückweg?? Bei
Meeresschildkrötenschützer läuten in so einer Situation alle Alarmglocken, gibt
es nur eine Spur, heisst das, dass das Tier nicht wieder ins Meer
zurückgekehrt ist. Und tatsächlich, wir klettern die Düne hoch und finden in
der Vegetation ein Muttertier. Wir nähern uns an und ich als letzte verstehe
nicht wieso die andern alle ihre Gesichter so verziehen bis ich das Tier
umrundet habe und die Schulter sehe... Über der rechten Flosse klafft eine
riesen Wunde, ein Loch so gross wie eine Faust. Über Handy verständigen wir
Ricardo im Zentrum, der meint wir sollen den Strandrundgang beenden während er
sich auf den Weg macht. Während die anderen weiter gehen, bleibe ich beim
verletzten Tier und muss schauen, dass sie nicht ins Meer zurückkehrt. Mit so
einer Wunde wären ihre Überlebenschancen ziemlich gering.
Mit einer Plastikflasche (es liegen genug Angeschwemmte am Strand
rum) hole ich Meereswasser und netzte das Tier. Sie hat Glück heute ist es
bewölkt, an einem sonnigen Tag wäre sie vielleicht schon vertrocknet. Zu neuem
Leben erweckt durch die Erfrischung, beweg sie sich vorwärts, der Instinkt
treibt sie, sie will zurück ins Meer. Ich stelle mich also vor sie und sehe
ihre Augen, ein so anmutiges Tier, ich wünschte ich könnte ihr sagen, dass ich
doch nur helfen will. Aber das einzige was sie möchte muss ich verhindern. In
der Zwischenzeit sind die anderen wieder zurück, sie haben eine abgekürzte
Patrouille gemacht heute, es wird langsam heiss und die Eier müssen zurück ins
Zentrum. Ricardo ist immer noch nicht da und dabei sind wir doch nicht so weit
vom Zentrum. Lucio macht mit seinem Handy ein Foto von der Wund und geht dann
mit den anderen zurück. Ich bin wieder alleine mit dem Tier, dass mich immer
noch mit diesen Augen anschaut und die Welt nicht versteht. Später kommt
Ricardo mit einem Sonnenschirm um dem Tier Schatten zu geben, es ist zwar immer
noch bewölkt aber die Sonne drückt langsam durch und eine Meeresschildkröte ist
nie so lange an Land. Und dann endlich kommt die ersehnte Hilfe. Freunde von
Ricardo von der proteccion civil so etwas wie Bürgerhilfe/Zivilschutz darunter
ein Sanitäter, der das Tier notdürftig verbindet. Tonio der Mann vom
Zivilschutz bringt auch gleich seine Familie und Freunde mit, die sollen die doch eher spektakuläre Rettungsaktion auch sehen. Mit einem Netz wird das Tier eingebunden und dann auf
das mitgebrachte Quatrimoto gehieft, eine Meeresschildkröte wiegt locker 100kg.
Unsere ist noch jung, um die 80 Jahre alt! Mit dem Quatrimoto wird die
Meeresschildkröte ins Zentrum gebracht, armes Tier, das normalerweise nur in
Schneckentempo über den Sand kriechen kann, fliegt jetzt über den Strand.
Im Zentrum geht die eigentliche Behandlung los. Das Tier wir auf
einen Tisch gelegt und festgebunden, ihr Instinkt sagt ihr immernoch geh zurück
ins Meer und das versucht sie auch. Zu sechst versuchen wir das Tier möglichst
ruhig zu halten, damit der Sanitäter die Wunde nähen kann. Alles kein Problem
sagt der, es schaue gleich aus wie bei den Menschen auch und Fleischwunde ist
Fleischwunde. Zum Glück haben Meeresschildkröten extreme Selbstheilungskräfte
und die Wunde, obwohl recht gross, hat fast aufgehört zu bluten. Nachdem die
Wunde vernäht ist, wird das Tier in das, für solche Fälle vorgesehene Becken
gebracht, wo es die nächsten Tage zur Beobachtung bleiben wird. Neben den
hunderten von Babymeeresschildkröten haben wir jetzt auch ein Muttertier. Für
das verwundete Tier nicht sehr angenehm aber für mich trotzdem irgendwie
aufregend. In der Zwischenzeit hat Pepi schon unzählige Formulare ausgefüllt
und die Behörden wurden informiert. Ein vom Aussterben bedrohtes Tier
einzusperren muss erstens einen trifitigen Grund haben und zweitens von
den Behörden genehmigt werden. Zu dem Zweck wurde der ganze Prozess auch
reichhaltig dokumentiert, Fotos von allen Stufen der Rettungsaktion und eine Liste
der anwesenden Personen. So hat man für den Fall der Fälle genug Beweismittel
um sich zu verteidigen. Die Gesetzte sind streng und das zu recht.
Die ganze Aktion dauerte dann doch ziemlich lange und mittlerweile
war es schon wieder Abend. Die Bäuche knurrten vor Hunger, den ganzen Tag auf
den Beinen und noch nichts Richtiges im Magen. So waren alle froh, als Tonio
mit Essen aus dem Dorf zurück kam, wir es uns auf der Terrasse mit Meeresblick
schmecken liessen und mit einem kühlen Bier auf den zwar traurigen aber
erfolgreichen Tag anstiessen.